Kinderrechte in deutschen Städten und Gemeinden
Welchen Stellenwert haben Kinderrechte in deutschen Kommunen? In welchem Umfang werden Kinder und Jugendliche an wichtigen Entscheidungen beteiligt? Und welche Herausforderungen und Chancen sehen die Kommunen bei der Verwirklichung der Kinderrechte? Dieser Frage ist die Tochter des Instituts der deutschen Wirtschaft, IW Consult, in einer umfassenden Studie im Auftrag von UNICEF nachgegangen. Bei der Präsentation der Studien-Ergebnisse am 17.09.2020 in Berlin mahnt Prof. Michael Hüther, Direktor des IW, an: „Die Ergebnisse verdienen große Öffentlichkeit, denn die Zukunft unserer Kinder in Kommunen ist ein wichtiges strategisches Thema für die Zukunft unseres Landes“.
Für die Studie wurden Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in ganz Deutschland von April bis Juni ausführlich befragt – also mitten in der Covid-19-Pandemie. Trotz der großen Herausforderungen, vor denen die Kommunen bei der Bewältigung der Pandemie standen, haben sich insgesamt 123 Städte und Gemeinden an der Umfrage beteiligt. In diesen Regionen leben 11,7 Millionen Einwohner und mehr als 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche.
Eines der wichtigsten Studienergebnisse: Den deutschen Kommunen sind Kinderrechte enorm wichtig. Fast alle befragten Bürgermeister und Bürgermeisterinnen gaben an, dem Thema einen sehr hohen Stellenwert beizumessen. Fast 93 Prozent der Kommunen legen großen Wert darauf, Kinder und Jugendliche grundsätzlich zu beteiligen.
Der kommunale Kinderrechtsindex
Dieser eindeutige Befund spiegelt sich auch im Kinderrechtsindex wider, den die IW Consult im Rahmen dieser Studie für UNICEF entwickelt hat. Der Index basiert auf den fünf Dimensionen der Child Friendly Cities Initiative. Sie setzt sich dafür ein, dass Kinder nicht diskriminiert werden, dass sie beteiligt und informiert werden, Zugang zu Bildung haben, in einer kinderfreundlichen Umwelt aufwachsen und ihnen ausreichend Spiel- und Freizeitangebote bereitgestellt werden. Der Kinderrechtsindex ordnet anhand von 16 Fragen jede Kommune im Rahmen einer Skala von 0 bis 100 Punkten ein.
Insgesamt erreichen fast 45 Prozent der Kommunen einen hohen Indexwert, etwa 33 Prozent einen mittleren Wert und nur 23 Prozent ein niedriges Ergebnis. Große Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern schneiden hier erwartungsgemäß besser ab als kleine, Städte haben also häufig bessere Startvoraussetzungen und mehr Möglichkeiten, sich dem Thema Kinderrechte zu widmen. Auch die finanzielle Ausstattung spielt erwartungsgemäß eine Rolle: Kommunen aus reicheren Landkreisen schneiden besser ab als solche aus strukturschwachen Regionen. Allerdings gibt es auch Ausreißer: Manch kleine Kommune engagiert sich trotz überschaubarer Strukturen, beispielsweise weil sie auf eine überdurchschnittlich starke Unterstützung der Zivilgesellschaft zählen kann. Und auch manch große Kommune hat noch Nachholbedarf, trotz sehr guter Startvoraussetzungen.
Partizipation von Kindern und Jugendlichen
Auch wenn sich fast alle Kommunen dem hohen Stellenwert des Themas bewusst sind: Geht es um konkrete Aktionspläne und Projekte mit Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, zeichnet sich ein verändertes Bild. So wurden die Kommunen gefragt, ob es einen Aktionsplan oder einen konkreten Maßnahmenkatalog gibt, der die Situation von Kindern und Jugendlichen verbessern soll. Hier muss immerhin jede zweite Kommune passen, darunter vor allem kleine und mittelgroße sowie Kommunen aus ärmeren Landkreisen. 18 Prozent der Kommunen wiederum haben zwar einen konkreten Plan – der allerdings Kinder und Jugendliche nicht beteiligt. Nur jede dritte Kommune kann mit beiden Aspekten aufwarten. Es fehlen also vollwertige und verbindliche Instrumente, die Kinder und Jugendliche auf Augenhöhe beteiligen.
Die Kommunen sollten im Rahmen der Umfrage darüber hinaus alle Bereiche identifizieren, in denen die Interessen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden und zu bewerten, ob es dort für Kinder und Jugendliche die Möglichkeit der Partizipation gibt. Die Befragungsergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Die systematische Einbeziehung der Interessen von Kindern und Jugendlichen findet über alle Bereiche hinweg deutlich seltener in den Kommunen statt als die punktuelle Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen oder die Berücksichtigung der Rechte von Kindern und Jugendlichen durch die Einbindung entsprechender – natürlich erwachsener – Fachexperten.
Damit scheint sich auch an dieser Stelle der bereits in den vorherigen Darstellungen geäußerte Befund zu bestätigen, dass die Kinderrechte auf kommunaler Ebene zwar auf sehr breiter Basis einen hohen Stellenwert genießen, die Partizipation der Kinder und Jugendlichen aber die „gläserne Decke“ der kommunalen Kinderrechts-Aktivitäten darstellt.
Positive (wirtschaftliche) Effekte von Kinderrechten für die Kommune
Insgesamt ist Kinderfreundlichkeit für die Kommunen kein Nischenthema, sondern lohnt sich in vielen Bereichen – auch wirtschaftlich. Die Städte und Gemeinden wurden nach Bereichen gefragt, in denen sie von Kinderrechten spürbar profitieren: Im Durchschnitt geben drei von vier Kommunen an, bereits in mindestens einem der abgefragten Bereiche von kinderfreundlichen Maßnahmen profitiert zu haben.
So beobachten 86 Prozent der Kommunen, dass ihr Engagement für Kinderrechte den Zuzug von Jüngeren und Familien fördert. Das dürfte insbesondere für kleineren Kommunen oder für Kommunen aus finanz- und strukturschwachen Landkreisen vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung eine positive Botschaft sein. Eine positive Entwicklung bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen stellen mehr als 70 Prozent der Kommunen fest. Fast 62 Prozent attestieren einen Rückgang der Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen. Auch in Folge dieser spürbaren Verbesserungen engagieren sich Unternehmen bereits vielfach in ihrer jeweiligen Region.
Diese Befunde sind von besonders großer Bedeutung. Viele Kommunen – gerade im ländlichen Raum – leiden unter den Folgen des demografischen Wandels und einem anhaltenden Fachkräftemangel. Junge Menschen sind entscheidend für die Zukunftsfähigkeit vieler Regionen, entsprechend wichtig ist es, allen Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen und für Bedingungen zu sorgen, unter denen sie ihre Fähigkeiten entfalten können. Die bewusste und nachhaltige Stärkung der Kinderrechte kann hier einen Ansatzpunkt bieten, um als Kommunen den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein.

IW Consult-Studie "Kinderrechte in Kommunen: Stand und Perspektiven" zum kostenfreien Download als pdf.